Ein schmaler Pfad im märkischen Sand: Die Erfindung der Wilhelminenhofstraße

Berlin Wilhelminenhofstraße historische Straßenansicht

Könnte man mit einer Zeitmaschine die Uhr 130 Jahre zurückstellen, dann befände man sich im heutigen Wohngebiet nördlich der Wilhelminenhofstraße in einem Kiefernwäldchen. 1890 lebten in Oberschöneweide 159 Menschen. Um die Jahrhundertwende waren es bereits knapp 6.000. Nichts deutete zuvor darauf hin, dass ein kleiner sandiger Weg am Rande der Berlin-Köpenicker Landstraße zum zentralen Zugangsweg eines der größten Zentren der Elektroindustrie in Deutschland werden würde. Oberschöneweide wurde durch die AEG geprägt. Doch wie kam es zur Erfindung der Wilhelminenhofstraße und warum siedelte sich die Elektroindustrie gerade hier an?

Auf dem Weg zum Quappenkrug

Fragt man nach dem Besonderen der Wilhelminenhofstraße, dann fällt schnell die strikte Zweiteilung auf: Die Südseite der Straße ist fast ausschließlich der Industrie vorbehalten. Richtung Spree zieht sich ein gut 2 Kilometer langes Band an Industriegebäuden entlang. Auf der Nordseite finden wir Wohngebäude, die für die Belegschaft der AEG entstanden sind. Das heutige Straßenbild ist ganz den Bedürfnissen des Elektrokonzerns geschuldet. Die Wilhelminenhofstraße ist eine Erfindung der AEG.

 

Gegeben hat es die Wilhelminenhofstraße natürlich schon länger. Wie zu erwarten ist sie nach dem Wilhelminenhof benannt, einem der im 19. Jh. populär gewordenen Ausflugslokale auf der grünen Wiese (Schöne Weyde). Die Geschichte des Wilhelminenhofs geht bis in das 17. Jh in die Zeit des Großen Kurfürsten zurück. Friedrich Wilhelm I. erwarb den mit Schankrecht ausgestatteten Hof Quappenkrug, der nach mehreren Eigentümerwechseln und Erweiterungen Anfang des 19 Jh. den fürstlichen Namen Wilhelminenhof erhielt. Die Wilhelminenhofstraße war ein schlichter Zufahrtsweg zu dem etwa zwischen der Reinbeckstraße und der Lauffener Straße gelegenen Anwesen.

Land gab's gratis: Der Geschäftssinn der Terraingesellschaften

Was die AEG in diese Gegend verschlagen hatte, war ein einziges zentrales Argument: Die Lage. Oberschöneweide liegt bekanntermaßen an der Spree. Doch die Tatsache, dass der Ort das Interesse des Elektrokonzerns fand, ging auf den Geschäftssinn einer der damals üblichen Terraingesellschaften zurück. Für das auf der anderen Spreeseite gelegene Niederschöneweide hatte der Bau der Berlin-Görlitzer Eisenbahn bereits ab 1866 die Grundlage für die Industrieansiedlung gelegt. Oberschöneweide hingegen fehlte eine günstige Verkehrsanbindung. Der Ort behielt zunächst seinen ländlichen Charakter. 

 

1889 kam es dann zu einer Initialzündung. Die Grundrentengesellschaft Wilhelminenhof erwarb das Gelände rund um den Wilhelminenhof und sorgte vorausschauend für den Bau einer Brücke zum Bahnhof Niederschöneweide. Ziel war natürlich, das Gelände gewinnbringend zu vermarkten. Der aus Charlottenburg stammende Geschäftsführer der Rentengesellschaft Carl Deul verfolgte dabei aber eine langfristige Strategie. Er sorgte mit dem Bau und Anschluss einer Güterbahn an den Bahnhof Niederschöneweide und später Rummelsburg für die entsprechende Infrastruktur.

 

Dass die AEG nach Oberschöneweide zog, ist dem Druck des eigenen Erfolgs geschuldet. Anfang der 80’er Jahre gelang es Emil Rathenau innerhalb weniger Jahre das Edison-Patent der Glühbirne zu erwerben, die öffentliche Beleuchtung zu etablieren und umfangreiche Produktionsstätten für elektrische Anlagen und Geräte in jeder Größenordnung aufzubauen. Die wachsende Industriemetropole Berlin wurde schlicht und einfach zu eng und zu klein für aufstrebende Industriezweige. Rathenau folgte mit dem Aufbau neuer Produktionskapazitäten dem allgemeinen Trend der Randwanderung der Industrie. 

 

Oberschöneweide bot ein überzeugendes Argument für die Ansiedlung: Rathenau bekam das Land gratis. Mit dem Zugpferd eines Weltkonzerns setzte die Entwicklung des Ortes nun ein wie ein Paukenschlag. Aus der alten sandigen Nebenstraße zum Wilhelminenhof wurde nun die Hauptstraße des Ortes. Die Güterbahn “der Bulle” fuhr bis 1996 durch die Wilhelminenhofstraße

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