
Wer einen Spaziergang auf dem Friedhof Columbiadamm unternimmt, der bemerkt schnell: An einigen Stellen wird es islamisch. Von den Minaretten der nahegelegenen Şehitlik-Moschee her ist der Gebetsruf zu hören, der einen Friedhofsrundgang in eine andächtig zeitlose Sphäre kleidet. Zufällig kann man auch auf einen Trauerzug stoßen, bei dem oft eine große Anzahl an Männern einen Verstorbenen zur letzte Ruhestätte geleitet. Auffällig sind die vielen muslimischen Grabstätten, die sich wegen ihrer erkennbaren Ausrichtung nach Mekka und ihres anders aussehenden Grabschmucks sehr deutlich von dem historisch gewachsenen Erscheinungsbild des 200 Jahre alten Soldatenfriedhofs abheben. Doch wie kommt es, das der Islam ausgerechnet hier so präsent ist? Und was kann man auf dem Friedhof Columbiadamm über den Islam erfahren?
Kein Platz für Muslime auf Berliner Friedhöfen?
Der Bedarf an Grabflächen für Muslime in Berlin steigt. In Berlin leben Schätzungen zufolge 300.000 Muslime. War in den vergangenen Jahrzehnten die Überführung eines Verstorbenen in das Herkunftsland die Regel, so wollen sich heute immer mehr Muslime in Berlin bestatten lassen. Die Zahl islamischer Bestattungen hat sich in den vergangenen 10 Jahren verfünffacht. Das ist ein starker Ausdruck der Verbundenheit mit Berlin und der hiesigen Gesellschaft (Stück Heimat, 2023). Zudem gibt es eine Zunahme der älteren muslimischen Bevölkerung. Aber auch die junge muslimische Generation, die in Berlin aufgewachsen ist, möchte sich zukünftig hier bestatten lassen. Manchmal ist es auch die Flüchtlingssituation, auf Grund derer die Wahl des Bestattungsortes auf Berlin fällt (Mehr muslimische Gräberfelder, 2024).
Islamische Bestattungen sind aktuell auf sechs städtischen und vier kirchlichen Friedhöfen möglich. Stadt und Bezirke kommen mit der Ausweisung von neuen Grabflächen der Nachfrage kaum hinterher. So geht die Berliner Bürgerplattform von einem Bedarf von 2.000 Grabstätten pro Jahr aus und fordert Bestattungsmöglichkeiten in jedem Bezirk und eine Koordinierungsstelle für die Bereitstellung islamischer Grabflächen (Mehr muslimische Gräberfelder, 2024).
Der Friedhof Columbiadamm als Kriegsgräberstätte: Warum das Thema der islamischen Bestattung hier nahe liegt
Der Friedhof Columbiadamm ist eine Kriegsgräberstätte. Das Kriegsgräbergesetz aus dem Jahre 1922 sollte in Anlehnung an den Versailler Vertrag dafür sorgen, dass der Toten hier auf Dauer gedacht werden sollte. So liegen hier Gefallene aus den Kriegen von 1813, 1866, 1870/'71 und schließlich den beiden deutschen Weltkriegen 1914-'18 und 1939-'45. Das hauptsächliche Anliegen des Friedhofs ist das Erinnern und Mahnen. Der Friedhof hat hier Parkcharakter.
Islamische Bestattungen finden hier im Rahmen bereits zuvor gewachsener Strukturen statt, innerhalb derer sich islamische Gräber einfügen. Dabei sind islamische Gräberfelder am Columbiadamm sowohl in ihrer Geschichte, als auch in ihrer Topographie eng mit dem angrenzenden türkischen Friedhof verbunden. Schließlich geht der türkische Friedhof am Columbiadamm auf eine Schenkung des preußischen Königs Wilhelm I. an das Osmanische Reich im Jahre 1866 zurück. Im Ersten Weltkrieg wurden hier türkische Soldaten bestattet, die für das Osmanische Reich an der Seite des deutschen Kaiserreichs kämpften. Der Name "Şehitlik" bedeutet "Märtyrer" und unterstreicht sowohl den Charakter einer Kriegsgräberstätte als auch die Tradition der militärischen Zusammenarbeit des Osmanischen Reichs mit dem Kaiserreich. Somit liegt das Thema "islamische Bestattung" in Hinblick auf den Charakter des Friedhofs Columbiadamm im wahrsten Sinne des Wortes nahe.
Islamische Gräberfelder auf dem Garnisonfriedhof wiederum wurden eingerichtet, als sich eine vollständige Belegung des türkischen Friedhofs bereits abzeichnete. Der städtische Friedhof konnte muslimischen Mitbürger*innen somit zumindest eine räumliche Nähe zum türkischen Friedhof anbieten. Seit 1963 werden hier mit Unterbrechungen Muslime bestattet. Die Grabfelder sind nicht immer zusammenhängend angelegt worden. Über gesonderte Einrichtungen etwa für die rituelle Totenwaschung oder das Totengebet verfügt der Friedhof Columbiadamm nicht. Gelegenheit dazu bieten entweder die benachbarte Şehitlik-Moschee oder islamische Gemeinden oder Bestattungsunternehmen.
Auf dem Friedhof gehört der Islam längst zu Deutschland
Friedhöfe werden in Deutschland entweder von der Kommune vor Ort oder von Religionsgemeinschaften wie der evangelischen oder katholischen Kirche oder jüdischen Gemeinden betrieben. Mit Ausnahme des an den Friedhof Columbiadamm angrenzenden historischen türkischen Friedhofs, der völkerrechtlich türkisches Staatsgebiet ist, hat der Islam in Deutschland bisher noch keine Institution herausgebildet, die eigene Friedhöfe betreibt. Die Vorstellung von einer "Kirche" als übergeordnete Institution ist dem Islam fremd. Für Muslime kommt es von daher nur in Frage, sich auf einem vorhandenen meist kommunalen Friedhof vor Ort bestatten zu lassen. Doch in wie fern sind diese auf die Erfordernisse einer islamischen Bestattung eingerichtet?
Das auffälligste Merkmal eines islamischen Grabfeldes ist die Ausrichtung der Gräber nach Mekka. Dort, wo es keine eigenen islamischen Friedhöfe gibt, werden demnach abgegrenzte Grabflächen eigens für Muslime eingerichtet. Traditionell erfordert eine islamische Bestattung die Beachtung einer Abfolge von Riten, die eine enge Kooperation zwischen den mit der islamischen Bestattung betrauten Bestattungsunternehmen und dem Friedhof erfordert. Nach der Feststellung des Todes erfolgt die rituelle Waschung und das Einkleiden des Leichnams in spezielle Leichentücher. Zentral ist das Totengebet, das entweder vor einer Moschee oder oft auf dem Friedhof selbst stattfindet. Die Bestattung ist dabei eine Pflicht der gesamten Gemeinde. Daher geht die Anzahl der Teilnehmer*innen oft weit über den engen Familienkreis hinaus. Emotional wichtig ist das gemeinsame Geleiten des Verstorbenen im Sarg und das gemeinsame Verschließen des Grabes.
Eine islamische Bestattung gehört zum Bereich der Religionsausübung, für die das Grundgesetz ein grundlegendes Recht formuliert. Dennoch hat es Jahrzehnte gedauert, bis die einzelnen jeweils für das Bestattungsrecht zuständigen Bundesländer ihre Bestattungsgesetze soweit modernisiert haben, dass sie den Erfordernissen einer generell vielfältig gewordenen Bestattungskultur in Deutschland gerecht geworden sind.
In Hinblick auf den Islam steht in der öffentlichen Diskussion oft die Bestattung ohne Sarg im Mittelpunkt. Dies ist auf Berliner Friedhöfen mittlerweile möglich. Ein anderer Punkt ist die mit dem Bestattungsbrauch im Judentum vergleichbare Vorstellung einer dauerhaften Ruhe im Grab. Gräber werden in der Theorie nicht wieder belegt. Kommunale Friedhöfe kommen Muslimen hier soweit entgegen, dass bevorzugt Wahlgrabstätten angeboten werden, die nach Ablauf der Nutzungsfrist von 20 Jahren verlängert werden können.
Der islamische Brauch legt eine rasche Bestattung am selben oder am Folgetag nahe. Die Wartefrist von 48 Stunden zwischen dem Tod eines Menschen und dessen Beisetzung ist mit einer Gesetzesänderung von Anfang 2024 entfallen.
Quellen und Literatur zum Thema:
- "Ein Stück Heimat": Berlin sucht Grabstätten für Muslime, SZ online vom 03.03.2023, abgerufen am 16.01.2024 von: https://www.sueddeutsche.de/politik/religion-ein-stueck-heimat-berlin-sucht-grabstaetten-fuer-muslime-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-230303-99-814682
- Mehr muslimische Gräberfelder in Berlin gefordert, SZ online vom 20.09.2024, abgerufen am 16.01.2024 von: https://www.sueddeutsche.de/politik/bestattungen-mehr-muslimische-graberfelder-in-berlin-gefordert-dpa.urn-newsml-dpa-com-20090101-240920-930-237805
- Özgür Uludağ / Thomas Lemmen, Islamische Grabfelder und Bestattungen auf deutschen Friedhöfen, aiwg Expertisen, Frankfurt am Main 2023,: https://aiwg.de/wp-content/uploads/2023/11/AIWG010_Expertise_230803_Screen.pdf
- Özgür Uludağ, Islamische Bestattungen in Deutschland, Studien zur interdisziplinären Thanatologie Bd. 15, Berlin 2023
- Rainer Sörries, Von Mekka bis Berlin, Archäologie und Kulturgeschichte des islamischen Friedhofs, Wiesbaden 2015
- Jens-Martin Rode, Integration von unten - Gegenwärtige Perspektiven islamischer Bestattungen in Berlin, Magisterarbeit, Berlin 2009
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