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Das Grab des Reichsbanner-Aktivisten Erich Schulz: Erschossen bei der Verteidigung der Republik

Vor 100 Jahren starb der Reichsbanner-Aktivist Erich Schulz bei einer gewalttätigen Auseinandersetzung mit rechtsextremen Republikgegnern. Er gilt als erstes Opfer rechtsextremer Gewalt des Reichsbanners in Berlin. Die Ehrung von Erich Schulz gibt einen tiefen Einblick in die politischen Auseinandersetzungen in der Weimarer Republik und wirft ein Licht auf diesen der Sozialdemokratie nahe stehenden Verband ehemaliger Weltkriegsteilnehmer, der sich die Verteidigung der Demokratie auf die Fahnen geschrieben hatte. Seit einigen Jahren gibt es eine Erich-Schulz-Renaissance auf dem Friedhof Columbiadamm. Die Nachfolgeorganisation des Reichsbanners legt unter Beteiligung von Bundesprominenz jedes Jahr Kränze am Grab des Aktivisten nieder. Am 25. April 2025 jährt sich der Todestag von Erich Schulz zum hundertsten Mal.

 

Was geschah am 25. April 1925 ?

 

Berlin Ende April 1925: Die Wahl des Reichspräsidenten stand vor der Tür. Der 27-jährige parteilose Lagerarbeiter Erich Schulz engagierte sich beim Reichsbanner in der Kameradschaft Kreuzberg. Zur Reichspräsidentenwahl warb die Kameradschaft mit Propagandaumzügen für den gemeinsamen Zentrums-Kandidaten Wilhelm Marx. Ein offener Möbelwagen mit Reichsbanner-Männern wurde am frühen Nachmittag des 25. April in der Innsbrucker Straße in Schöneberg von Republikgegnern angehalten. An diesem Tag war auch Erich Schulz unter den Aktiven. Auf der anderen Seite stand der 21-jährige Alfred Rehnig als Mitglied der rechtsextremen Vereinigung "Bund Wiking". Dabei kam es zu einem Handgemenge. Rehnig schoss und traf Erich Schulz, der noch auf dem Weg ins Krankenhaus starb. Schon zu seiner Beisetzung fand eine von Tausenden besuchte Trauerkundgebung an seinem Wohnort in der Trebbiner Straße mit anschließendem Trauerzug durch Kreuzberg zum Friedhof Columbiadamm statt. Eine starke Demonstration für die Demokratie und Republik. Bis zum Beginn des Dritten Reiches 1933 hielt das Reichsbanner am Grab von Erich Schulz regelmäßig Gedenkveranstaltungen ab. Der Schütze Alfred Rehnig aber wurde vom Vorwurf der Körperverletzung mit Todesfolge freigesprochen. Er trat 1931 in die NSDAP und später in die SS ein. (Erschlagen, erstochen, erschossen, 2024 und Wehrhafte Demokratie 2024, S. 75)

 

Doch was geschah unmittelbar vor der Tat? Ein verbaler Streit entzündete sich an den jeweiligen Flaggen der beiden Gruppen. Die Gruppe um Rehnig war durch Abzeichen als Mitglieder des Wikingbundes klar zu erkennen. Mitglieder des Reichsbanners entrissen Rehnig eine schwarz-weiß-rote Papierfahne und entfernten sich. Rehnig rief ihnen etwas hinterher. Daraufhin eskalierte der Streit erneut. Die Reichsbannermänner drohten mit Stöcken, Rehnig zog eine Waffe und gab Warnschüsse in die Luft ab. Die Reichsbannerleute ließen nicht locker schlugen mit Stöcken auf Rehnig ein. Rehning versuchte zu fliehen und schoß Erich Schulz nieder. (Elsbach 2019, S. 286f.)

 

Der Tot von Erich Schulz steht in einer ganzen Reihe an politischen Gewalttaten in der Weimarer Republik. Die politische Auseinandersetzung war vom Straßenkampf geprägt, der Todesopfer mit einkalkulierte. Gerade am Vortag zur Wahl des Reichspräsidenten meldete die Presse zahlreiche Schlägereien und Krawalle zwischen den verfeindeten Wehrverbänden. Zudem tritt hier ein Grundproblem der Weimarer Republik zu Tage: Das Justizwesen wurde übergangslos aus dem Kaiserreich übernommen und war sprichwörtlich "auf dem rechten Auge blind". Der Verteidigung ist es im Fall Rehnig gelungen, dem Täter nahestehende Zeugen zu mobilisieren, um den Tathergang zu verunklaren. Der Richter sprach den Tatverdächtigen daraufhin nach dem Prinzip "im Zweifel für den Angeklagten" frei und erkannte auf Notwehr, während der Staatsanwalt auffallend untätig blieb. Zahlreiche Zeugen legten eine andere Interpretation des Geschehens nahe. Demnach hätten die Reichsbanneraktivisten die Stöcke erst eingesetzt, nachdem Rehnig mit der Waffe drohte und zunächst versucht, ihm diese zu entwenden.(Anmerkung 1)

 

Was ist das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold?

 

Ist die Weimarer Republik untergegangen, weil es nicht genügend Verteidiger*innen der Republik gab? Möglicherweise. Doch ein Blick auf die heute oft vergessene Massenorganisation "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold" lässt das Urteil nicht ganz so eindeutig ausfallen. Denn zahlenmäßig war der 1924 gegründete Verband mit nach eigenen Angaben 3 Mio. Mitgliedern und einem Umfeld von schätzungsweise 10 Mio. Anhänger*innen zeitweise die mitgliederstärkste Organisation ihrer Art. Sie verstand sich von Anfang an als Gegengewicht zu paramilitärischen Wehrverbänden ehemaliger Weltkriegsteilnehmer, wie etwa dem "Stahlhelm, Bund der Frontsoldaten". (75 Jahre Reichsbanner, 1999)

 

Attentate, Morde, Umsturzversuche und Straßengewalt prägten von Anfang an die politische Auseinandersetzung in der Weimarer Republik. Eine Initiative zur Verteidigung der Republik von Seiten der demokratischen Parteien SPD, Zentrum und DDP führte 1924 zur Gründung des "Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold". Ziel war es, den zahlreichen Frontsoldaten nach dem verlorenen 1. Weltkrieg eine neue politische Heimat zu geben, aktiv für die republikanische Demokratie einzutreten und ihren Gedanken in der Bevölkerung zu verankern. Auch wenn das Reichsbanner das Gewaltmonopol beim zu verteidigenden Staat sah, ging es auch um seine aktive Verteidigung im Kräftemessen mit den paramilitärischen antidemokratischen Wehrverbänden. Das Reichsbanner stellte sich mit Wahl der Flaggenfarben Schwarz-Rot-Gold bewusst in die Tradition der Revolution von 1848 und der Gründung der Weimarer Republik von 1919. Aufmärsche und Massenveranstaltungen z.B. mit Verfassungsfeiern zum Gründungstag der Republik am 11. August gehörten zum typischen Repertoire ihrer politischen Agitation. (75 Jahre Reichsbanner. 1999)

 

Dem Erstarken des Nationalsozialismus und rechtsnationaler Verfassungsfeinde am Ende der Weimarer Republik setzte das Reichsbanner noch einmal die Gründung einer erweiterten "Eisernen Front" aus der politischen Schnittmenge zwischen SPD, Gewerkschaften und Reichsbanner entgegen. Ließen sich Putschversuche am Anfang der Weimarer Republik noch mit einem Generalstreik verhindern, so fiel dieses erprobte Kampfmittel der Arbeiterschaft bei einer Massenarbeitslosigkeit von 6 Mio. Arbeitslosen in der Wirtschaftskriese nun plötzlich aus. Die erhoffte Wirkung entfaltete der Widerstand trotz verstärkter Agitation leider nicht mehr. Das Reichsbanner wurde nach Machtübernahme der Nazis rasch verboten. Prominente Mitglieder arbeiteten aber weiterhin im Widerstand und beteiligten sich an den Netzwerken im Umfeld der Verschwörer des 20. Juli 2044.

 

Reichsbanner-Gedenken heute

 

Die 1953 in der Bundesrepublik als "Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold Bund aktiver Demokraten e.V." neu gegründete Organisation existiert auch heute noch. Sie widmet sich vor allem der politischen Bildungsarbeit und organisiert - oft in Zusammenarbeit mit der Gedenkstätte Deutscher Widerstand - Ausstellungen und Veranstaltungen. Zahlreiche Persönlichkeiten aus der Partei-Prominenz der SPD sind hier Mitglieder oder Ehrenmitglieder. (Art. "Reichsbanner", Wikipedia)

 

Der Grabstein auf dem Friedhof Columbiadamm wurde 2016 restauriert. Das Reichsbanner und die Gedenkstätte Deutscher Widerstand organisieren dort seit 2017 jeweils zum Todestag von Erich Schulz am 25. April eine Gedenkveranstaltung mit Kranzniederlegung unter Beteiligung von Bundes- und Landesprominenz und des Wachbataillons der Bundeswehr. (Art. "Erich Schulz (Reichsbanneraktivist), Wikipedia)

 

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Anmerkungen:

  1. Eine Auswahl an Presseberichten über die Tat sowie über die anschließende Gerichtsverhandlung bietet das Blog "Republikpolizei" unter dem Stichwort "Erich Schulz". Daraus ergibt sich ein sehr komplexes Bild des Geschehens: https://republikpolizei.de/archive/tag/erich-schulz 

 

Quellen und Literatur:

  •  75 Jahre Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold Bund aktiver Demokraten e.V., Frankfurt am Main 1999
  • "Erschlagen, erstochen, erschossen - Zur Erinnerung an die von den Nationalsozialisten ermordeten Angehörigen des Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold", Einladungsschreiben zur Gedenkveranstaltung auf dem Friedhof Columbiadamm am 25.04.2024 um 13.00 Uhr, Gedenkstätte Deutscher Widerstand / Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold Bund aktiver Demokraten e.V. (Hrsg.), Berlin 2024, abgerufen am 22.01.2024 von: https://www.reichsbanner.de/media_rb/rb_heute/1_Mitteilungen/2024/Erich_Schulz_2024/Einladung_Gedenkveranstaltung_Erich_Schulz_2024.pdf
  • Wehrhafte Demokratie - Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold und die Verteidigung der Weimarer Republik, Ausstellungskatalog, Gedenkstätte Deutscher Widerstand / Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold Bund aktiver Demokraten e.V., Berlin 2024
  • Sebastian Elsbach, Das Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold - Republikschutz und politische Gewalt in der Weimarer Republik, Weimarer Schriften zur Republik Bd. 10, Stuttgart 2019
  • Erich Schulz (Reichsbanneraktivist), Wikipedia - die freie Enzyklopädie, abgerufen am 23.01.2025 von: https://de.wikipedia.org/wiki/Erich_Schulz_(Reichsbanneraktivist)
  • Reichsbanner Schwarz-Rot-Gold, Wikipedia - die freie Enzyklopädie, abgerufen am 23.01.2025 von:  https://de.wikipedia.org/wiki/Reichsbanner_Schwarz-Rot-Gold

 

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