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Kolonialgedenkstein wird umgedreht: Was wird aus dem umstrittenen "Hererostein" auf dem Garnisonfriedhof in Neukölln?

"Dem Gedenken an die Täter ein Ende setzen": Das ist das Ziel des Bezirks Neukölln im Umgang mit dem sogenannten "Hererostein" auf dem Friedhof Columbiadamm. Denn seit gut einem halben Jahrhundert ehrt dort ein Kolonialgedenkstein  7 deutsche Soldaten, die am Völkermord im heutigen Namibia an den Herero und Nama (1904 - 1908) beteiligt waren. Der Stein ehrt die Täter, nicht die Opfer. Umstritten ist er deshalb schon lange. Seit 2023 erarbeitet das Museum Neukölln ein Konzept für einen angemessenen Umgang mit diesem schwierigen Erbe. Nun liegen erste Ergebnisse vor.

Neukölln will's richtig machen und dreht den Stein einfach um

Es ist schon einmal schief gegangen: Als im Jahre 2009 am Afrikastein im Beisein des Namibischen Botschafters eine ergänzende Gedenktafel angebracht wurde, war hinterher eigentlich niemand so richtig zufrieden. Denn die schwarze Tafel gedenkt im Kontrast zum wuchtigen Täter-Stein zwar der Opfer der Kolonialherrschaft im ehemaligen Deutsch Süd-Westafrika, doch das amtliche Wort Völkermord wollte man tunlichst vermeiden. 

 

Heute ist man da weiter: Der Vernichtungskrieg der deutschen "Schutztruppe" gegen die Herero und Nama in Namibia vor 120 Jahren ist mittlerweile als Völkermord offiziell anerkannt. Und auch die Verbrechen der deutschen Kolonialherren an der Bevölkerung in den einstigen Überseegebieten finden langsam ihren Weg in das öffentliche Bewusstsein. So hat die Bezirksverordnetenversammlung Neukölln Anfang 2023 den Beschluss zu einem neuen Gedenk-Konzept gefasst, Eigentlich sollte das heißen: Der Stein muss weg! (FACETTEN-Magazin Neukölln)

 

Begleitend zur Sonderausstellung "Buried Memories - Vom Umgang mit dem Erinnern. Der Genozid an den Ovaherero und Nama" gab es 2023 / 2024 einen Beteiligungsprozess mit öffentlichen Veranstaltungen zur Zukunft des Steins. Von einer einfachen Entfernung ist man dabei aber wieder abgerückt. Doch wie umgehen mit diesem schwierigen Erbe? Einer der Vorschläge war, den Stein als Teil der Dauerausstellung "Enthüllt. Berlin und seine Denkmäler" in die Zitadelle Spandau zu verbannen. Hier wäre der Stein in gut kuratierter Gesellschaft zu anderen aus dem Stadtbild entfernten Artefakten. (FACETTEN-Magazin Neukölln)

 

Nun wird eine andere Zielsetzung verfolgt: Der Stein wird umgedreht und am Ort belassen. Die Rückseite bzw. die zukünftige Vorderseite soll dann eine Widmung tragen oder ein Bild. Zudem soll eine symbolische Verbindung hergestellt werden mit dem anti-kolonialen Denkmal "Earth Nest" vor dem Eine-Welt-Zentrum "Berlin Global Village" in Neukölln. Damit soll die Perspektive um 180 Grad gedreht werden. Die Opfer stehen im Zentrum der Erinnerung, nicht die Täter. Die kolonialen Spuren sollen dabei aber lesbar bleiben. Der Stein jedoch wird "(...) zu seinem eigenen Gegendenkmal". (Kiez und Kneipe Neukölln)

Hintergrund zum "Hererostein": Worum geht es überhaupt?

"Kolonialgedenkstein", "Schutztruppenstein", "Gefallenenstein", "Afrikastein" oder letztlich "Hererostein": Die Unsicherheit beginnt schon bei der Benennung des umstrittenen Findlings. Denn jeder Name trägt eine Deutung und Perspektive in sich. So lässt sich vermuten, dass der Name "Hererostein" von den kolonialen Traditionsverbänden der "Schutztruppe" selbst etabliert worden ist, denn in ihrem Schrifttum wird er entsprechend verwendet. Bärbel Ruben schlägt in ihrem Aufsatz "Stein des Anstoßes" deshalb "Kolonialgedenkstein" als angemessene Bezeichnung vor. (Ruben 2024)

 

Der Kolonialgedenkstein ehrt mit einer Inschrift den "Heldentod" von namentlich 7 deutschen Soldaten, die zwischen 1904 und 1907 in der ehemaligen Kolonie "Deutsch-Südwestafrika" starben. Sein ursprünglicher Standort war lange Zeit das Gelände der Kaserne des Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Regiments Nr. 2. nähe Urban- und Baerwaldstraße. Nach Abriss der Kaserne ist der Stein 1973 auf den Friedhof Columbiadamm umgezogen. Die Afrika-Kameradschaft Berlin und der Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen haben Renovierungen und Ergänzungen am Stein vorgenommen, so dass sich hier nun eine Ehrung aller in Afrika gefallener deutscher Soldaten findet. (Cahn 2022, 187f.)

 

In den 2000'er Jahren regte sich zunehmend Kritik lokaler Initiativen an der öffentlichen Ehrung von Soldaten, die offensichtlich an einem Völkermord teilgenommen hatten. Die Forderung nach einer Kontextualisierung wurde laut. Deswegen bekam der Kolonialgedenkstein 2009 eine zusätzliche Gedenkplatte am Boden im Umriss des heutigen Namibia. Die Inschrift gedenkt der Opfer der deutschen Kolonialherrschaft von 1884 bis 1915, insbesondere der des Kolonialkrieges 1904 - 1907. Und Wilhelm von Humboldt lässt wissen: "Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft."

 

Doch so ganz wollte man der Vergangenheit dann doch nicht ins Auge sehen: Das Wort "Völkermord" musste noch 2009 bei der engen Abstimmung zwischen dem Auswärtigen Amt, der Senatskanzlei, der namibischen Botschaft und der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln unbedingt vermieden werden. Zivilgesellschaftliche Gruppen protestierten scharf gegen diese Verharmlosung. Die offizielle Anerkennung des Vernichtungskrieges deutscher Truppen gegen die Herero und Nama durch die Bundesregierung kam erst 2015. Schätzungen beziffern die Anzahl der Toten auf 60.000 bis 100.000 (Cahn 2022, 188ff)

 

120 Jahre nach Beginn des Völkermords an den Herero und Nama gibt es in Deutschland noch immer kein zentrales Mahnmal, das an die Opfer der deutschen Kolonialherrschaft erinnert. Zudem stecken die Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Namibia über den Umgang mit dieser Vergangenheit fest. Das ist das Terrain, auf dem sich das Museum Neukölln bewegt. So wird der umgekehrte Kolonialgedenkstein in Zukunft eine Lücke in der Erinnerungskultur füllen müssen.

Quellen und Literatur:

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