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"Hererostein" wird entfernt: So soll das Täter-Gedenken auf dem Friedhof Columbiadamm ein Ende finden

Sogenannter "Hererostein" auf dem Friedhof Columbiadamm

Zu dem umstrittenen und gemeinhin als "Hererostein" bekannten Gedenkstein auf dem Friedhof Columbiadamm in Neukölln hat die Bezirksverordnetenversammlung Neukölln am Mittwoch, den 22. Januar 2025 einen Entschluss gefasst: Der Stein soll weg. Denn dieser erinnert an sieben Angehörige der deutschen Schutztruppe, die sich freiwillig am Völkermord an den OvaHerero, den Nama, den Damara und den San von 1904-1907 im heutigen Namibia beteiligt hatten. Der Beschluss ist nun ein Meilenstein in einer jahrelangen Debatte um den richtigen Umgang mit diesem schwierigen Erbstück kolonialer Vergangenheit. 

 

Zivilgesellschaftliche Initiativen im Bündnis Decolonize Berlin begrüßen die Entscheidung, den Stein zu entfernen

 

Beim Völkermord an den OvaHerero, Nama, Damara und San sind bis zu 80 Prozent der OvaHerero und 50 Prozent der Nama systematisch ermordet worden. Ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit, bei der Deutschland als ehemalige Kolonialmacht die historische Verantwortung für die Aufarbeitung trägt. Daran erinnert der Verein Decolonize Berlin e.V. in einer Pressemitteilung. Bisher gäbe es keinen Gedenkort an dieses Verbrechen in Berlin. Weil Orte wie der “Hererostein” Täter glorifizieren und Opfer unsichtbar machen, dürften sie nicht stehen bleiben. “Eine angemessene Erinnerungskultur muss die Perspektive der Opfer einbeziehen und den kolonialen Kontext kritisch beleuchten." Laut der Vorstandsfrau von Decolonize Berlin, Amina Hikari Fall (AfricAvenir e.V.), ermögliche die Entscheidung der Bezirksverordnetenversammlung nun einen starken Perspektivenwechsel mit der Chance, nicht nur “(...) mit der unerträglichen Glorifizierung der Mörder zu brechen, sondern sich auch mit dem Friedhof im Ganzen und mit weiteren problematischen Denkmälern auseinanderzusetzen.” 

 

Nach Verbannung durch BVV-Beschluss: Kommt der Stein nun in die Festung Spandau?

 

Bereits vor 2 Jahren hatte die BVV beschlossen, für den Schutztruppenstein ein neues Gedenkkonzept zu entwickeln mit der Perspektive, den Stein zu entfernen. Dem folgten eine Reihe öffentlicher Veranstaltungen rund um die im Museum Neukölln gezeigte Ausstellung "Buried Memories - Vom Umgang mit dem Erinnern. Der Genozid an den Ovaherero und Nama". Zeitweilig brachte das Museum die Idee ins Gespräch, den Schutztruppenstein am jetzigen Standort zu belassen, ihn aber zu verfremden, indem er einfach umgedreht und vor Ort kontextualisiert wird. Das wird nun aber nicht weiter verfolgt. 

 

Nach dem Antrag der Fraktionen der Grünen, der SPD und der Linken soll der Stein entfernt und museal aufgearbeitet werden. Auf dem Garnisonfriedhof soll aber weiterhin an den Völkermord erinnert und auch über die jahrelange Auseinandersetzung um die richtige Art des Gedenkens informiert werden. Dabei sollen Vertreter*innen der betroffenen Communities, postkolonialer Gruppen und der Zivilgesellschaft der afrikanischen Diaspora einbezogen und am Konzept beteiligt werden. Nach Ansicht der Antragsteller*innen werde damit das Ziel, das ehrende Gedenken an die Täter zu überwinden, am konsequentesten erreicht. “Der sogenannte Hererostein ist kein Hererostein - er verherrlicht die Täter eines Völkermordes und gehört deshalb nicht mehr in den öffentlichen Raum”, stellt Tjado Stemmermann als Antragsteller für die Fraktion der Grünen in Neukölln fest. Eine reflektierte Auseinandersetzung mit der deutschen Kolonialvergangenheit sei an einem Museumsstandort besser möglich, als auf dem Garnisonfriedhof. Im Gespräch ist hier entweder das Museum Neukölln oder die Zitadelle Spandau. In Spandau werden in der Dauerausstellung "Enthüllt - Berlin und seine Denkmäler" bereits zahlreiche Denkmäler kuratiert und kontextuell eingebettet, die aus dem öffentlichen Raum entfernt worden sind.  

 

Untaten versteinert: Wen ehrt eigentlich der sogenannte “Hererostein”?

 

Wie der Schutztruppenstein eigentlich zu seinem Namen “Hererostein” gekommen ist, liegt im Dunkeln. Bärbel Ruben, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Museum Neukölln vermutet, dass der Verband Deutsches Afrika-Korps e.V. und die Afrika-Kameradschaft Berlin e.V. die Bezeichnung eingeführt hatten, weil “Hererostein” in deren Dokumenten in Gebrauch war. Geradezu zynisch, einen Stein, der die Täter der kolonialen Vernichtungsmaschinerie ehrt, auch noch nach ihren Opfern zu benennen! In ihrem lesenswerten Beitrag “Steine des Antoßes” zeichnet sie den Weg des Steins im Detail nach. 

 

Der Schutztruppenstein ehrt mit einer Inschrift den "Heldentod" von 7 deutschen Soldaten, die zwischen 1904 und 1907 in der ehemaligen Kolonie "Deutsch-Südwestafrika" starben. Die Namen werden von Aktivist*innen regelmäßig mit Farbe unkenntlich gemacht. Sein ursprünglicher Standort war lange Zeit das Gelände der Kaserne des Kaiser-Franz-Garde-Grenadier-Regiments Nr. 2. an der Blücher-, Urban- und Baerwaldstraße. Von hier aus hatten sich 41 Angehörige des Regiments freiwillig als Kolonialsoldaten nach Deutsch-Südwestafrika begeben. 

 

Von den 7 Gefallenen sind Bärbel Ruben zufolge nur bei den beiden jungen Kriegsfreiwilligen Bodo von Ditfurth und Richard von Rosenberg die Lebensläufe näher bekannt, da sie zu angesehenen Adels-  und Offiziersfamilien gehörten. Von Rosenberg starb bereits im April 1904 im Feldlazarett an den Folgen einer Schussverletzung bei einem Gefecht mit den OvaHerero. Bodo von Ditfurth wurde im Januar 1906 von Nama-Kriegern bei dem Versuch, eine Wasserquelle zu besetzen, getötet. Überlieferte Beileidsbekundungen geben einen skurrilen Einblick, wie und mit welch schwülstigen Worten vom “schönsten Tod” für die “heilige Sache” in völliger Umkehr von Tätern und Opfern in Kreisen ihrer Angehörigen und Familien gedacht worden ist.

 

Nach dem 1. Weltkrieg wurde das Regiment aufgelöst und die Kaserne zivil genutzt, bevor sie ab den 60’er Jahren nach und nach Schulbauten und Sportplätzen weichen musste. Fast wäre der Stein auf dem Schutthaufen gelandet, wie Traditionsvereine später beklagen sollten. Doch der Bezirk Kreuzberg übergab ihn 1973 an die Afrika-Kameradschaft Berlin, die ihn restaurieren und auf den Friedhof Columbiadamm in Neukölln überführen ließ. Nicht nur das: Die Traditionalisten nahmen Ergänzungen vor, mit dem Stein nun plötzlich auch die in Afrika gefallenen Soldaten des Afrikakorps von 1941-43 zu ehren. Fortan wurde der Stein als “Afrika-Stein” bezeichnet. Die Einweihung und feierliche Übergabe an den Bezirksbürgermeister von Neukölln fand nach den Recherchen von Bärbel Ruben mit Polizeiorchester und Ansprachen des Polizeipräsidenten a.D. sowie Offizieren der ehemaligen Schutztruppen statt. Die Feierstunde endete mit einer Kranzniederlegung und dem “Lied vom guten Kameraden”. Noch Jahrzehnte später durften hier besonders zum Volkstrauertag revisionistische Traditionsvereine kolonialnostalgische Reden halten.

 

Wachsender Widerstand der Zivilgesellschaft: Warum dauert es so lange, den Stein zu entfernen?

 

Das Wissen um den Stein und seine Vergangenheit existiert schon lange. Doch spiegele der Stein exakt den Definitionskonflikt um den Begriff “Völkermord” und die Konfrontation mit der Frage nach dem “Wie” der Erinnerung an die Ereignisse von 1904-1907 wider, wie die Museumswissenschaftlerin Flavia Cahn in dem Stadtführer “die postkoloniale Stadt lesen” über den “Afrikastein” schreibt. (Cahn 2022) Die Bezeichnung “Völkermord” blieb jahrzehntelang im deutschen Diskurs umstritten. Die Taten der deutschen Kolonialarmee entsprechen wegen ihrer gezielten und systematischen Tötung bestimmter ethnischer Gruppen zwar der rechtlichen Definiton von Völkermord, doch hing der Unwille, diesen als solchen anzuerkennen mit der Angst vor moralischen und möglicherweise rechtlichen Verpflichtungen zu Reparationszahlungen zusammen. Erst 2015 erkannte die Bundesregierung den Völkermord offiziell an. 

 

In den 2000'er Jahren regte sich Cahn zufolge zunehmend Kritik lokaler Initiativen an der öffentlichen Ehrung von Soldaten, die offensichtlich an einem Völkermord teilgenommen hatten. Die Forderung nach einer kritischen Kontextualisierung wurde laut. Deswegen bekam der Kolonialgedenkstein 2009 eine zusätzliche Gedenkplatte am Boden im Umriss des heutigen Namibias. Die Inschrift gedenkt der Opfer der deutschen Kolonialherrschaft von 1884 bis 1915, insbesondere der des Kolonialkrieges 1904 - 1907. Und Wilhelm von Humboldt lässt wissen: "Nur wer die Vergangenheit kennt, hat eine Zukunft." Doch so ganz wollte man der Vergangenheit dann doch nicht ins Auge sehen: Das Wort "Völkermord" musste noch 2009 bei der engen Abstimmung zwischen dem Auswärtigen Amt, der Senatskanzlei, der namibischen Botschaft und der Bezirksverordnetenversammlung Neukölln unbedingt vermieden werden. Zivilgesellschaftliche Gruppen der afrikanischen Diaspora und People of Color protestierten scharf gegen diese Verharmlosung. 

 

Mit dem “Museum im Dialog” will es Neukölln nun richtig machen 

 

Der Ansatz der vergangenen zwei Jahre war ein anderer: Unter Federführung des Museums Neukölln sollte mit dem Format “Museum im Dialog” ein Prozess angestoßen werden, in einem multiperspektivischen Dialoges Kolonialismus zu “ver-lernen” und gemeinsam ein Gedenkkonzept zu entwickeln. Der Dialog mit der Stadtgesellschaft ist damit nicht zu Ende. 120 Jahre nach Beginn des Völkermords an den Herero und Nama gibt es in Deutschland noch immer kein zentrales Mahnmal, das an die Opfer der deutschen Kolonialherrschaft erinnert. Zudem stecken die Verhandlungen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Namibia über den Umgang mit dieser Vergangenheit fest. Das ist das Terrain, auf dem der “Hererostein” jetzt bewegt wird.

 

 

Quellen und Literatur:

 

  • “Wir begrüßen die Entscheidung, den sog. Hererostein zu entfernen”, Decolonize Berlin e.V. (Website), Pressemitteilung vom 28.01.2025, angerufen am 29.01.2025 von: https://decolonize-berlin.de/de/presse/#pressemitteilungen
  • BVV Neukölln: Hererostein | Abenteuerspielplatz | Klimaschutz - Postkoloniale Aufarbeitung des Völkermords an den Herero und Nama – „Völkermörderstein“ soll an einen neuen Ort, Berlin 23. Januar 2025, Bündnis 90/die Grünen Neukölln (Website), angerufen am 27.01.2025 von: https://www.gruene-neukoelln.de/aktuellemeldungen/einzelansicht/news/bvv-neukoelln-hererostein-abenteuerspielplatz-wildhueterweg-klimaschutz
  • Bärbel Ruben, Steine des Antoßes - ein umstrittenes Gedenkensemble auf dem Friedhof am Columbiadamm bezeugt den schwierigen Umgang mit dem Erbe des Kolonialismus - Teil 1, 17. April 2024, in: Steine des Anstoßes - Teil 1, Neuköllner Clio, angerufen am 29.01.2025: https://neukoellner-clio.de/?p=1121
  • Flavia Cahn, 1907 - Der "Afrikastein" erinnert an den "Heldentod" deutscher Soldaten in "Südwest", in: Natalie Bayer / Mark Terkessidis (Hg.), Die postkoloniale Stadt lesen - Historische Erkundungen in Friedrichshain-Kreuzberg, Berlin 2022, S. 187ff.
Friedhof Columbiadamm - interaktive Karte

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